Samstag, Dezember 27MA-Jour JG 2024

Von Lobpreis-Band bis Vocal-Ensemble: Wie die Musik junge Menschen in die Kirche zieht

 

Bild der Roratemesse in der Wiener Peterskirche
Roratemesse in der Wiener Peterskirche © Isaure Delepuelle

Es ist noch dunkel an diesem Dienstagmorgen im Dezember. Man muss aufpassen, um nicht auszurutschen. Am Vorabend hat es geschneit und die Wege sind eisig glatt – sogar in der Wiener Innenstadt. Die Peterskirche ist zunächst noch leer. Nur an wenigen Stellen leuchten Kerzen. Gegen viertel sieben kommen die ersten Gläubigen. Es sind vorwiegend junge Menschen, die sich in die Bänke setzen und still auf den Beginn der Rorate warten.

Roratemessen sind ein Beispiel für ein Phänomen, welches in den letzten Jahren vermehrt zu beobachten war. Junge Menschen zeigen wieder stärker Interesse am christlichen Glauben und dabei nimmt vor allem die Musik eine tragende Rolle ein. Entstanden sind die Roraten aus Votivmessen, die zu Ehren Marias gefeiert werden. Im Advent tritt Maria als Mutter Gottes in den Vordergrund. Die Bezeichnung Roratemesse” stammt vom Eingangs-Vers der Votivmesse. Der Vers beginnt mit den Worten des Propheten Jesaja Rorate, caeli, desuper, et nubes pluant iustum” / Tauet Himmel, von oben! Ihr Wolken es regnet den Gerechten”.

 

Ensemble-Gründer Ulrich Krenmayr im Gespräch


Im Gespräch mit der Redaktion erzählt Ulrich Krenmayr von seiner Sicht auf Roratemessen. Er engagiert sich im Jungen Forum Peterskirche, das im Rahmen der Seelsorge der Peterskirche verschiedene Aktivitäten für junge Menschen anbietet. 2021 gründete Ulrich im Rahmen des Jungen Forum Peterskirche ein Vokalensemble.

 

Bild des Vocal-Ensemble bei der Probe in der Krypta der Peterskirche
Ensemble-Gründer Ulrich singt unter der musikalischen Leitung von Thomas Pulker selber bei der Probe mit. © Tanja Neubäck


In der Peterskirche sind die Bänke inzwischen gut gefüllt. Nur wenn man genau schaut, kann man noch freie Plätze in der finsteren Kirche entdecken. Alle anderen sind von jungen Leuten zwischen 20 und 35 Jahren besetzt. Um halb sieben versammelt sich das Ensemble hinter dem Altar. „Sancta Maria“ tönt es durch die Dunkelheit. Die Rorate beginnt.


Ulrich erzählt, dass die Rorate-Messen des Jungen Forums Peterskirche schon 2021 gut angekommen sind, obwohl es damals nur wenig Vorlaufzeit gab. Pro Messe haben 50-60 Personen teilgenommen. Die jungen Leute wollten nach Corona wieder mehr soziale Aktivität, vermutet Ulrich. Die rege Teilnahme hat aber einen weiteren Grund. Das Junge Forum Peterskirche sieht in einem aktiven Marketing eine Chance für die katholische Kirche. Die Mitglieder nehmen das Thema selbst in die Hand. Sie erstellen Flyer, verteilen sie physisch und digital und legen besonderen Wert auf Mundpropaganda.

 

Im Fall der Rorate-Messen in der Peterskirche war das Marketing jedenfalls erfolgreich. 2022 haben sogar noch mehr junge Menschen die Messe besucht als im Vorjahr. Für viele Ensemblemitglieder ist die Musik dabei ein noch wichtigerer Motivationsfaktor als der religiöse Kontext.

 

Die Rolle von Musik in der Religion

Die Kombination von Musik und Religion reicht schon lange zurück. Belege für gemeinsames Musizieren im religiösen Kontext kann man bereits im Alten Testament finden. Zunächst sang die ganze Gemeinschaft, die beim Gottesdienst versammelt war. Ab dem zweiten und dritten Jahrhundert übernahmen immer häufiger Chöre und speziell ausgebildete Sänger das Singen im Gottesdienst.

Die Funktionen, die die Musik im religiösen Kontext übernimmt, sind vielschichtig. Oftmals wird aufgrund von emotionalen Aspekten musiziert. Der Religionspsychologe Nils G. Holm nennt beispielsweise die Gruppenfunktion, die die Musik in der Religion übernimmt. Dabei kommt es zu starken Gemeinschaftserlebnissen in gruppenmusikalischen Zusammenhängen und das Wohlbefinden der Menschen wird erhöht. Das kann etwa anhand der Veränderungen im Hormonhaushalt und am Blutdruck belegt werden. Positive Erfahrungen durch das gemeinsame Musizieren treten in der Religion besonders beim liturgischen Singen und bei Kirchenliedern hervor.

Musik verstärkt außerdem die Vermittlung von geistlichen Inhalten. So können Rhythmen, Tempi und Töne das verstärken, was kognitiv vermittelt wird. Auch zum Erleben von Transzendenz trägt Musik im religiösen Kontext bei. Das Singen von geistlichen Liedern ermöglicht es, Vorstellungen, Gedanken und Gefühle, die man wissenschaftlich nicht ausreichend erklären kann, greifbar zu machen. Was für Außenstehende möglicherweise theoretisch klingt, kann Ulrich aus seiner persönlichen Erfahrung als Musiker bestätigen.

 

Durch Musik kommen d’ Leut zam

Mittlerweile ist es hell in der Peterskirche. Das Ensemble singt am Ende der Rorate noch ein letztes Lied. Der Ensemble-Leiter bedankt sich bei allen fürs Kommen und lädt zum gemeinsamen Frühstück in die Krypta ein. Es dauert nicht lange, bis die jungen Leute von ihren Plätzen aufstehen und sich ein Gedränge auf dem Weg zu Kaffee und Croissant bildet.

Wenn der Gottesdienst zur Party wird

Musik existiert im modernen Christentum in verschiedenen Formen. Die Rorate, wie sie vom Ensemble des Jungen Forum Peterskirche gestaltet wird, ist dabei eines der klassischen Formate. In den letzten Jahren gab es aber auch einige neue Entwicklungen, darunter beispielsweise die sogenannte „Worship-“ oder Lobpreis-Musik. Sie kommt aus der charismatischen Bewegung und vereint moderne Musikstile mit religiösen Botschaften. Diese Kombination ist vor allem bei jungen Christen und Christinnen beliebt, so auch bei Marie Fischer aus Feldkirch in Kärnten.

Marie ist Künstlerin und Sängerin. Unter dem Pseudonym Marie-Ann veröffentlichte sie im November letzten Jahres ihren ersten deutschen Pop-Song. Dieser wurde erstmals live bei der letzten Licht-ins-Dunkel-Gala in Velden präsentiert.  Seit drei Jahren ist die Kärtnerin außerdem Mitglied der Lobpreis-Band Lichthaus. Die Gruppe begleitet Gottesdienste quer durch Kärnten. Sie spielen moderne, religiöse Pop und Rock-Songs, teilweise auch auf Englisch.

Die Künstlerin "Marie-Ann" vor einer Steinmauer
Die Künstlerin „Marie-Ann“ macht sowohl im weltlichen wie auch im sekularen Kontext Musik. © Melanie Köck

Du musizierst unabhängig von der Religion seit du ein Kind bist. Warum bist du Mitglied einer Lobpreis-Band geworden?

Ich habe gar nicht richtig nach einer Band gesucht. Ich wollte zu diesem Zeitpunkt einfach wieder mehr musizieren. Es gab einen Aufruf von der Diakonin unserer Gemeinde, die Leute für eine Lobpreis-Band zusammenbringen wollte. Ich habe hin- und her überlegt und mich dann gemeldet. Zuerst waren wir eine Gruppe von sechs Personen. Bis es zur momentanen Konstellation kam, hat es etwas gedauert. Es ist eine schöne Gemeinschaft, die auf Basis dieses Aufrufes entstanden ist.

Was hält euch als Gemeinschaft zusammen?

Wir haben bemerkt, dass wir sozial zusammengewachsen sind. Es ist eine richtige Freundschaft entstanden. Man kann über alles reden. Die Probe ist nie nur Probe. Zu Beginn nehmen wir uns immer mindestens eine halbe Stunde Zeit für Gespräche. Dafür haben wir auch eine Couch im Proberaum. Außerdem beten wir gemeinsam zum Beispiel füreinander, für die Probe, oder unseren nächsten Auftritt. Wir bedanken uns auch mit dem Gebet. Das verbindet total. Einerseits hält uns zusammen, dass wir alle gerne musizieren, aber eben auch unser Glaube.

Gottesdienste mit eurer Band erinnern beinahe an eine Party. Glaubst du, dass junge Leute wegen des dadurch entstehenden Gemeinschaftsgefühls hingehen?

Ja, auf alle Fälle. Vor allem jetzt nach Corona, wo man das wieder erleben darf und mehr schätzt. Ich glaube auch, dass man es anders erlebt. Der Austausch, das Verstanden-werden und das gemeinsam Spaß haben ist sicher ausschlaggebend dafür, dass die Menschen zu unseren Gottesdiensten gehen.

Du musizierst sowohl im religiösen als auch im nicht-religiösen Kontext. Was sind die größten Unterschiede?

Das Kommunizieren und das Beten stehen bei der Religion im Vordergrund. Man probiert mit Gott in Verbindung zu kommen. Das ist bei der Musik außerhalb der Religion nicht so. Wenn ich alleine auftrete, geht es mir darum, dass ich die Leute unterhalte. Bei einem Gottesdienst mit der Band habe ich selbst ein ganz anderes Gefühl. Das ist eine Form von Beten, aber durch Musik. Es ist ganz anders und ich fühle mich verbunden mit meiner Religion, mit Gott.

Denkst du, dass Lobpreis-Messen sich auch in Österreich durchsetzen werden? 

Ich hoffe es. Ich kann es mir schon vorstellen. Vermutlich braucht es noch ein bisschen bei uns. Ich glaube nicht, dass es in den nächsten zwei bis drei Jahren passiert. Aber wenn die jungen Leute dranbleiben, die gerade die Kirche aufbauen und diese auch andere Menschen und Musiker ins Bot holen, denke ich, dass es ein Konzept ist, dass auch bei uns immer mehr Anklang finden wird.

Das ganze Gespräch mit Marie gibt es hier zum Nachhören:

 

Beitragsbild: © Ralf Ruppert via Pixabay