
„Manchmal bin ich traurig, weil ich weiß, da ist diese gläserne Decke und da komme ich nicht durch“, sagt Maximilian. Queer und gleichzeitig gläubig zu sein, ist ein persönlicher und gesellschaftlicher Konflikt. Maximilian ist schwul, gläubig und wollte früher sogar Priester werden. Nicht nur in der Kirche muss er seine Sexualität verstecken, auch in der LGBTQIA+ Community stößt er auf Unverständnis. Seine Kirche gibt ihm Halt und gleichzeitig vergrault sie mit ihrer homophoben Haltung queere Menschen wie ihn.
Ein Text von Emily Weber und Lea Zechner.
Wer sich für eine Professur an einer katholisch-theologischen Fakultät bewerben will, kommt als queere Person nicht weit. Eine Stelle als Professor*in wird nur dann gewährt, wenn auch der zuständige Ortsbischof und die zuständige Stelle im Vatikan zustimmen. Dieses Schreiben nennt sich „nihil obstat“. Dafür wird unter anderem auf die sogenannte „Lebensführung“ geachtet. Wer in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft lebt, hat damit keine Chance mehr auf eine Professur. „Das Problem mit der Kirche ist, dass es solange kein Problem ist, solange man nicht darüber spricht“, sagt Maximilian, der gerade sein Doktorat macht. Sein Name ist geändert, er möchte anonym bleiben. „Sobald du irgendwas offiziell machst, fangen die Probleme an“, fügt er hinzu.
Die Fakultät unterscheidet sich auf den ersten Blick kaum von anderen Einrichtungen an der Universität. Dass der Forschungsgegenstand hier die Theologie ist, wird erst an den beiden Männern klar, die den Gang entlanggehen. Sie tragen die Soutane, das klassische Priestergewand. Die Räumlichkeiten, in denen Maximilian wartet, sind geräumig und hell. An der Wand hängt nicht einmal ein Kreuz. Im hellen Rollkragenpullover sitzt er bei einer Tasse Kaffee am Tisch, lehnt sich nach hinten, erzählt gelassen aus seinem Leben. Im Gespräch wird jedoch schnell deutlich, wie bedeutsam sein Glaube für ihn ist und welche Gewissenskonflikte bei dem Thema in ihm aufkommen.
In Maximilians Erziehung spielte Religion keine große Rolle. Seine Faszination dafür entwickelte er im Kindesalter selbst. Mit 10 Jahren fing er an zu ministrieren, wurde bald zum Ministrantenleiter und sah den Priester seiner Pfarre als Mentor. Die Firmung war für ihn ein Wendepunkt. Er begann regelmäßig in der Bibel zu lesen und wollte selbst Priester werden. Mit 19 Jahren ging er ins Kloster.
Österreich verzeichnete mit Ende 2022 192 Ordensgemeinschaften und etwas mehr als 4.000 Ordensfrauen und -männer. Maximilian schildert, dass der erste Schritt eine Art Eingewöhnungsphase ist. Anschließend beginnt das sogenannte „Postulat“ bei dem es, wie er sagt „ein bisschen ernster wird“. Zweck ist, die Ordensgemeinschaft kennenzulernen und mitzuleben. In der dritten Phase, dem „Noviziat“, lebt man zurückgezogen im Orden und darf auch nicht studieren. Anschließend folgt die erste „Profess“ – ein Versprechen, bei dem die Gelübde von Ehelosigkeit, Armut und Gehorsam abgelegt werden. In manchen Klöstern kommt die Ortsgebundenheit als vierte Instanz dazu. Das heißt, dass man sich dazu verpflichtet, auch dauerhaft an das Kloster gebunden zu sein. Maximilian verließ das Kloster schon nach dem „Postulat“. Damals ließ er auch seinen Berufswunsch hinter sich.
Seine Ordensgemeinschaft befand sich in einem Tal abseits der Stadt, in dem es im Winter oft sehr nebelig war. Ein Bild dafür, wie eingeschränkt er sich während seines Jahres in der Ordensgemeinschaft zumal fühlte. Für seinen schlussendlichen Ausstieg gab es einige Gründe. Im Kloster konnte er seinen Hobbies nur schwer nachgehen – in einem Chor zu singen war für ihn nicht erlaubt. Darüber hinaus bereitete ihm die Idee des „Gehorsam“ Schwierigkeiten. Zunehmend beschäftigte ihn auch seine Sexualität. Damals war ihm das jedoch noch nicht bewusst. Die restriktive Moral der Kirche, die laut Maximilian manchmal zwar unausgesprochen ist, aber dennoch stets mitschwingt, prägte ihn von klein auf. „Ich habe überhaupt keine Sprache dafür gehabt. Ich habe gewusst, das passt nicht für mich und ich muss raus“. Erst zwei Jahre später, Maximilian zog damals in die Großstadt, konnte er sich mit dem Thema auseinandersetzen, das er lange Zeit unterdrückt hatte. „Irgendwann war ich dann konfrontiert mit meiner Sexualität. Da war es dann: Entweder ich lasse mich jetzt darauf ein oder ich lasse mich nicht darauf ein. Ich habe dann erst mit 21 für mich realisiert, dass ich schwul bin“.

2021 outeten sich 125 Mitglieder der katholischen Kirche in Deutschland als schwul, lesbisch, bisexuell, transgender, intergeschlechtlich oder nichtbinär in der Aktion „#OutInChurch – Für eine Kirche ohne Angst“. Einer der Initiator*innen ist Bernd Mönkebüscher, ein Pfarrer in Hamm in Deutschland und selbst homosexuell. In Österreich ist lediglich Lars Müller-Marienburg, Superintendent in der evangelischen Kirche, als schwul geoutet. Einen geouteten katholischen Pfarrer gibt es in Österreich nicht.
Auslöser der Aktion #OutInChurch war ein offizielles Statement des Papstes gegen die Segnung homosexueller Paare. Die Reaktionen von Gemeinden der katholischen Kirche unterschieden sich beträchtlich. Einige befürworteten die Position des Vatikans und stellten Homosexualität mit Sünde gleich. Christoph Schönborn, Kardinal und Erzbischof Wiens, bezeichnete die Aussagen des Vatikans in einem Interview zwar als „nicht glücklich“, betonte jedoch den Unterschied zwischen einer Segnungsfeier und der „sakramentalen Ehe“. Bei einer Segnungsfeier können sich Paare, die kirchlich nicht heiraten dürfen, den Segen Gottes geben lassen. Dazu zählen neben homosexuellen Paaren auch Menschen, die schon einmal geschieden worden sind.
Maximilian ist in einer heiklen Situation. Er lebt in einer festen Partnerschaft. Bei den meisten Arbeitskolleg*innen an der Uni ist Maximilian geoutet, einige kennen seinen Freund sogar, auch andere Bekannte aus der Kirche wissen Bescheid. Mit vielen Personen an der Fakultät kann er jedoch nicht so einfach über seinen Freund sprechen. „Ein Kollege, der mit einer Frau verheiratet ist und zwei Kinder hat, kann, ohne irgendwie darüber nachzudenken, immer erzählen. Es wird nie ein Problem sein. Das ist schon eine riesige Ungerechtigkeit“. Grundsätzlich geht Maximilian offen mit seiner Sexualität um. Dennoch wühlen ihn die Umstände in seinem Arbeitsumfeld auf. Wenn er an der Fakultät aus seinem Leben erzählt, muss er immer darauf achten, dass er sich nicht verrät. „Wie formuliere ich das jetzt so diplomatisch, dass ich nicht lügen muss, aber ich auch nicht ganz die Wahrheit sage. Das ist manchmal einfach nur anstrengend“. Eine Situation, die viele queere Personen aus ihrem Alltag kennen. Für immer will sich Maximilian aber nicht verstecken. „Das ist halt diese Doppelmoral, die mir so auf die Nerven geht und warum ich auch nicht weiß, ob ich später in dem Bereich weiterarbeiten will. Weil ich für mich beschlossen habe, dass ich nie mein Privatleben meiner beruflichen Karriere unterordnen werde. Das mache ich nicht“.

Maximilian erzählt, dass es bereits Fälle gegeben hat, in denen Angestellte der Fakultät aufgrund ihrer romantischen Beziehungen oder Sexualität das Fach hatten wechseln müssen. Genauso gibt es Mitarbeiter*innen an den katholisch-theologischen Instituten, die sich nicht outen und ihre Sexualität vor andere verheimlichen. Maximilian stellt sich oft vor die Frage, ob er Homosexualität und die Kirche miteinander vereinbaren kann. Theologisch gesehen, ist die Frage für Maximilian sehr einfach zu beantworten.
Oft liest man Zitate aus der Bibel, wie dass Homosexualität „dem Herrn ein Gräuel“ ist. Jedoch würde die Bibel Homosexualität, wie wir sie heute verstehen, gar nicht thematisieren, betont Bibelwissenschaftlerin Ilse Müllner in einem Interview mit dem ORF. In der Bibel geht es um Gewaltgeschichten, in denen es darum geht, Männer mithilfe von Sexualität zu demütigen und Macht zu demonstrieren und nicht um Liebesbeziehungen. Die Wissenschaftlerin sieht das Problem darin, dass Zitate wörtlich genommen und aus dem Kontext gerissen werden.
Trotz dieser Erkenntnisse gibt es hohe Amtsträger*innen in der Kirche, die sich an die wörtlichen Zitate halten. Weihbischof Andreas Laun behauptete, dass Homosexuelle Leidende seien, denen geholfen werden müsse. Bis zu seiner Emeritierung 2017 fiel er immer wieder mit homophoben Aussagen auf. Zahlreiche weitere Bischöfe sehen homosexuelle Personen nicht als Teil von ‚Gottes Plan‘. Maximilian positioniert sich klar gegen solche Aussagen. Es wühlt ihn auf, stört ihn, macht ihn traurig, wie viel Engagement von jungen Leuten durch solche Äußerungen verloren geht. 2022 traten 90.808 Menschen aus der Kirche aus – ein neuer Höchstwert. Nur 4.449 kamen dazu. Offizielle Stellungnahmen der Kirche auf gesellschaftspolitische Fragen können ein Grund dafür sein. „Ich weiß nicht, wie man das vereinbaren kann oder wie ich das vereinbare. Ich ärgere mich wahnsinnig darüber, weil ich finde, dass ganz viel zerstört wird“. Junge Menschen seien immer weniger bereit, sich den negativen Aussagen zur Homosexualität auszusetzen. Maximilian will für eine tolerantere Kirche arbeiten.

Doch es gibt es auch katholische Amtsträger*innen, die sich für homosexuelle Gläubige einsetzen. So hat Johannes Wahala, Pfarrer von Trauthmannsdorf an der Leitha und Sarasdorf, Bischöfe aufgefordert, sich den „Realitäten der Natur“ zu stellen. Im Fernsehen kritisierte er offen die Einstellung der Amtskirche. Daraufhin setzte Kardinal und Erzbischof Schönborn ihn ab. Obendrein wurde Wahala vorgeworfen, Homosexualität als eine der Heterosexualität gleichwertige ‚Schöpfungsvariante‘ zu sehen.
Trotzdem gibt es Hoffnung. Andreas Kowatsch, Professor für Kirchen- und Religionsrecht an der Universität Wien, spricht in einem Interview gegenüber dem Magazin profil von „Prozessen, die vor 20 Jahren in Kirche und Gesellschaft noch nicht vorstellbar“ gewesen wären.
Maximilian steckt in diesem Zwiespalt fest. Einerseits fragt er sich, ob er das System weiter unterstützen soll, ihm in die Karten spielt, jedoch gleichzeitig versuchen kann, für eine tolerantere Sichtweise einzustehen. Andererseits möchte er nicht klein beigeben, was er mit einem Austritt tun würde. Warum Maximilian bei der Kirche ist, obwohl er so viele Ungerechtigkeiten erlebt, vergleicht er mit der Mitgliedschaft in einer Partei. Viele Menschen würden eine Partei unterstützen, obwohl sie nicht allem, was im Programm stünde, zustimmen würden. Manche Dinge müsse man eben in Kauf nehmen, meint Maximilian.
Mit Gegenwind wird man als gläubige Person teilweise auch vonseiten der LGBTQIA+ Community konfrontiert. Oftmals verstehen queere Menschen nicht, wie man trotz zahlreicher homophober Vorfälle noch Mitglied der Kirche sein kann. Auch Maximilian ist das schon passiert. Der Partner eines Schulkollegen, der sehr religionskritisch ist, wollte wissen: „Wie kann man sich als schwuler Mann in der Kirche engagieren?“ Maximilian wirkt in seiner Position sehr reflektiert. Er versteht die Kritik, gibt ihr teilweise sogar recht. Jedes Jahr überlegt er selbst aus der Kirche auszutreten. Dennoch wäre ihm das zu eindimensional gedacht. Er möchte Veränderung. Das ist ein Grund, wieso Homosexualität und Glaube für ihn vereinbar sind. „Ich will nicht, dass andere darüber entscheiden, wie ich leben muss“, sagt er.
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