Unser Geländewagen steuert über die holprige Einfahrt des Klostergebäudes, wie üblich ziehen wir eine Staubwolke hinter uns her. Quietschend kommt der Wagen, der in den letzten zwei Wochen unser treuester Begleiter war, zum Stehen. Wir steigen aus, es dauert ein wenig – wie immer, wenn wir den Wagen verlassen. Mit über 80 Jahren kann das Aussteigen schon mal etwas mehr Zeit beanspruchen. Säcke mit Mais und Getreide werden entladen, dann reicht man der Dame zum Ausstieg die Hand. Celine, Ordensschwester und eine der Gründerinnen der Mission Tansania, nimmt dankend an. Sie tritt etwas unsicher auf den provisorischen Parkplatz des Klosters. Ehe alle den Wagen verlassen haben, ist Vinentinerin bereits umringt von einem Gewusel an Menschen.
Zuerst erreichen sie die Novizinnen, dann eilen auch die zahlreichen Zivilisten heran, die sich rund um die Missionsstation tummeln. Binnen Sekunden bildet sich eine undurchdringliche Menschenansammlung. Das straffgebügelte Blau der Novizinnen mischt sich mit den farbig leuchtenden Gewändern der Buschbewohner. Wer den Wagen sieht, weiß bereits, wer damit kutschiert wird. Es spricht schnell herum im Kloster, wo der Alltag von Monotonie gekennzeichnet ist. Vor allem auch deswegen, weil es eine höchst brisante Nachricht ist. Immerhin kommt Celine seit Jahren nur noch selten in ihre zweite Heimat. Wie auch in den anderen Klöstern zuvor kann sich auch hier kaum gegen den Andrang wehren.
Es wirkt aber keinesfalls so, als wolle sie das. Sie wirkt freudig überwältigt, gleichsam merkt man, dass sie solche Empfänge gewohnt ist. Sie wird umarmt, berührt, Kinder greifen nach ihren Händen, ziehen an ihrem Habit, alle wollen ein Stück vom Kuchen. In den Gesichtern der Menschen liest sich vieles ab: Dankbarkeit, Bewunderung, Respekt, Ehrfurcht. Alle diese sind nachvollziehbar. Der Ort, die Missionsstation, die medizinischen Einrichtungen, die Kirche. All das gäbe es heute nicht, wäre Celine vor 40 Jahren nicht in den tansanischen Busch gekommen.
Diesen Vorgang konnte der Autor Stefan Schmider wiederholt beobachten, als er 2017 den Benefizverein Lights of Africa, der in Zusammenarbeit mit dem Missionsorden der Barmherzigen Schwestern Tirol Entwicklungshilfe leistet, bei seiner Arbeit in Tansania begleitet hat. Die Eindrücke im tansanischen Hinterland waren der Anstoß für diese Reportage. Sie soll der Frage nachgehen, inwiefern Missionierungsarbeit und moderne Entwicklungsarbeit Hand in Hand gehen können und ob diese Verknüpfung überhaupt legitim ist. Dazu hat er mit Celine Mittelberger, einer der drei Gründerschwestern der Mission Tansania gesprochen.

Drei Engel für Tansania
Besonders stolz ist Celine auf die Anfänge „ihrer Mission“. Die charismatische Meranerin ist seit rund 60 Jahren ein Mitglied der Barmherzigen Schwestern, einem Orden, der 1697 in einem französischen Dorf nahe Paris gegründet wurde und heute 10 Kongregationen in Frankreich, Deutschland und Österreich umfasst. „Als die Entwicklungshilfe in Europa erlebte in den 70er und 80er Jahren einen Boom erlebt hatte, ergab es sich, dass auch unsere Kongregation in Tirol mit dem Gedanken einer Mission spielte.“ Bis dato waren die Barmherzigen Schwestern nämlich nie ein Missionsorden gewesen, so die schmächtige Meranerin, die ihr silbernes Haar stets mit einer Leinenkrone bedeckt. Sie leugnet nicht, dass mit der Gründung einer Mission Fragen verbunden waren, die nicht einfach zu beantworten waren. „Wir haben uns gefragt: Sollen wir diese zusätzliche Bürde wirklich auf uns nehmen? Sind wir der Aufgabe gewachsen und haben wir überhaupt die nötigen Ressourcen?“
Der Orden zog nach langem Tauziehen schließlich in Erwägung, eine Mission in Tansania zu starten. Das Generalat argumentierte, dass das Land hohes Potential barg in Anbetracht sowohl der Not, die es zu tilgen galt, als auch hinsichtlich der Menschen, die man für die Mission gewinnen konnte. Voraussetzung war, dass sich genug Schwestern finden, die dazu bereit waren, sich der Aufgabe zu stellen.
Der Vorschlag traf auf offene Ohren, nicht wenige Schwestern befürworteten die Idee. Celine, und ihre beiden Schwestern Carmen Maria und Relinde waren von den über hundert Schwestern aber die einzigen, die die Mission nicht nur als notwendig ansahen, sondern sich diese Herausforderung auch zutrauten. „Es war nie eine leichte Entscheidung, aber zusammen sahen wir uns dazu berufen, das Kloster und unsere Heimat hinter uns zu lassen“. Um den Menschen in Afrika zu helfen, sei dieser Schritt ins Ungewisse ein logischer Schluss gewesen, meint die Schwester aus Südtirol.
1600 Höhenmeter, Ödland bis zum Horizont
“Damals sind wir ja primär als Hebammen und Krankenschwestern nach Tansania gekommen. Die Mission, das war eigentlich immer das Nebenprodukt gelungener Arbeit.“, betont die 80-Jährige. Dafür kamen sie nach Afrika, nämlich um Hilfe zu leisten. In den ersten Jahren schlossen sie sich dafür anderen Missionsorden in den Städten an. In dieser Zeit lernten sie die Nationalsprache Swahili mitsamt der arabischen Vokabeln, die über die Jahrhunderte hineingewachsen sind. Sie lernten die hiesigen Sitten und Gebräuche, Alltägliches wie Begrüßungen oder die tansanische Gastfreundschaft. Sie gewöhnten sich an die Würze der afrikanischen Küche, an die Wetterkapriolen in der Regenzeit und die erdrückende Dürre der Trockenzeit.

„Auf einer Reise durch das Inland kamen wir an einer auf den damaligen Landkarten unmarkierten Ortschaft namens Mitundu vorbei, auf einer Hochebene in Zentraltansania. Das war der Moment, in dem wir realisierten, dass unsere Hilfe dort dringender benötigt wurde als in der Stadt.“, erklärt Celine. „Die Menschen in Tansania waren arm, krank, es gab keine Bildung. Besonders gravierend war das aber im Busch“. Celine ahnte noch nicht, dass hier, auf 1600 Höhenmeter und umgeben von hunderten Kilometern Savanne, der Ort sein sollte, in dem sie die nächsten 30 Jahre ihres Lebens verbringen sollte.
Im Schatten des Fortschritts –Leben nach dem Rhythmus von Mutter Natur
Die Region, in die es Celine und ihre Schwestern verschlug, war das Hinterland eines Hinterlandes, die Provinz in einem Land, das ohnehin kaum erschlossen war. Noch heute sind befestigte Straßen nur spärlich gesät, die Dörfer trennen kilometerlange Abschnitte unberührter Savanne und Buschlands. Nur die Abwesenheit des Menschen war damals spürbarer. Auch außerhalb der seit Naturschutzgebiete durchstreift Großwild wie Giraffen, Elefanten und Büffelherden die Gegend. Heute liefern sich hier Wilderer und Wildhüter einen nicht enden wollenden Kampf. „Früher gab es nur die Wilderer.“, erinnert sich Celine.
Bald lernten die Schwestern, dass es die Natur war, die den Rhythmus des Lebens vorgab. „Man lebte hier nicht nach den Gesetzen oder der Polizei, die diese durchsetzen sollte.“, erklärt die tatterige Meranerin. „In Mitundu gab es ja nichts, als wir dort angekommen sind. Nichts als Staub und Gebüsch, weder Spitäler oder Apotheken noch Supermärkte oder Geschäfte“.

„Zuerst mussten wir also eine Missionsstation eröffnen.“, meint sie mit erhobenem Zeigefinger, als wolle sie nicht nur erzählen, sondern belehren. „Die Missionsstation, das war eigentlich nur eine kleine Hütte, ein Dach über den Kopf. Aber dadurch konnten wir den Menschen vor Ort helfen, ohne immer aus dem nächstgelegenen Dorf anzureisen.“ Effektiv helfen konnten sie aber erst, als mit Spendengeldern auch ein Dispensary erbaut wurde, eine für Entwicklungshilfe konzipierte Krankenstation. Von dort aus konnten die Missionarinnen Kranke und Verletzte versorgen und Medikamente ausgeben. Das Gebäude, mit dem die Entwicklungshilfe erste begann, steht auch heute noch. In der afrikanischen Steppe sticht dieser unverwüstliche Verschnitt alpenländischer Architektur und tansanischem Baumaterial.
„Im Busch, wo das Leben hart und Hoffnung rar gesät ist, spricht sich eine Wohltat rasch herum“
Obwohl über die Jahrzehnte Spendengelder, staatliche Beiträge und Unterstützung der Kirchengemeinde in die Mission geflossen ist, waren die Arbeitsumstände für die Schwestern schwierig. Anders als zuhause mussten Celine und ihre Schwestern ohne Arzt arbeiten, bei schwerwiegenden Fällen hörte ihre Hilfe bei der Diagnose auf. Nicht selten blieb ihnen nichts übrig, als die PatientInnen in die nächste Stadt zu schicken und zu hoffen, dass sie sich dieses Unterfangen leisten konnten.
Auch wenn Celine und ihre Schwestern manchen Menschen nicht weiterhelfen konnten, so gab es einen Grund, warum der Menschenandrang nicht nachließ. Die Südtirolerin ist sich sicher: „Dass wir erfolgreich waren – und das obwohl wir nicht dieselben Mittel hatten wie in Tirol – liegt vor allem daran, dass wir immer versucht haben, allen zu helfen. Die Leute kamen, wir haben ihnen zugehört, oft konnten wir helfen“. Die Patienten, die sie aufsuchten, waren so bunt gemischt wie die Gewänder, die sie trugen. Die Menschen im Busch waren Christen, Muslime, Juden, die meisten Menschen in der Gegend gehörten aber noch den animistischen Religionen an. „Woran die Leute glaubten, war für uns nebensächlich. Meine Schwester Carmen Maria fragte danach nicht, wenn sie die Medikamente ausgab. Schwester Relinde hat nicht danach gefragt, wenn sie die Kinder auf Mangelerscheinungen untersucht hat.“, unterstreicht die mittlerweile wieder in Meran lebende Schwester, die Sensibilität der Thematik nicht leugnend.
Bedingungslosigkeit – das Naturell christlicher Nächstenliebe
Celine betont immer, ihrem Ziel der Missionierung würde das Ausschlagen von Hilfe widersprechen. Das sei selbstverständlich, es wäre mit dem Naturell christlicher Nächstenliebe nicht vereinbar, so die Ordensschwester. Sie ist sich sicher, „Entwicklungshilfe muss universell und bedingungslos sein, das war auch damals das Credo gewesen.“ Heute ist schwer nachvollziehbar, ob zu jener Zeit wirklich so vorbehaltlos gearbeitet wurde. Am Ende des Tages sind die Schwestern immer noch mit dem Ziel der Missionierung nach Afrika gekommen. Was wäre hinderlicher für die Überzeugung zum Eintritt (oder Übertritt) in die eigene Glaubensgemeinschaft als das Ausschlagen der Hilfe gegenüber Andersgläubiger? Die Frage sollte sich deshalb eher danach richten, ob, und wenn ja – inwieweit Opportunismus der Beweggrund für die Entwicklungshilfe war.
Für diese Frage gibt es keine eindeutige Antwort, zu sehr spielen Perspektiven in die Thematik ein. Celine merkt man aber an, dass auch sie sich der Relevanz der Thematik bewusst ist. Wenn sie von der Arbeit der Schwestern spricht, beharrt sie immer darauf, dass sie dem Vorsatz der bedingungslosen Hilfe treu geblieben sind.

Dafür spricht immerhin einiges: Schon wenige Monate nachdem sie sich in Mitundu niedergelassen hatten, hatte sich die Missionsstation zum Magnet für menschliches Leben entwickelt. Hier war das Leben ein wenig lebenswerter, viele hatten das erste Mal so etwas wie eine Perspektive. Ein Leben zwar noch immer im Busch, aber immerhin mit Krankenstation. „Es war ein Selbstläufer. Je mehr Bewohner das Dorf zählte, desto lebenswerter wurde es und umso größer die Verlockung, sich dort niederzulassen.“, erinnert sich die Missionarin. Mehr Bewohner, mehr Infrastruktur, die wiederum mehr Bewohner anlockte. Rund um die Missionsstation entstanden Märkte, Geschäfte, Restaurants, eine Geburtenstation. Aus dem Punkt auf der Landkarte wurde eine kleine Stadt, Mitundu wurde vor wenigen Jahren zu einer Verwaltungszone mit Provinzstatus erklärt.
Epizentrum des Fortschritts
Relevant ist, welche Rolle dabei die Schwestern spielten, brachten ihre Positionen ja nicht nur Zuneigung, sondern auch Verantwortung und Einfluss. Während sich ihre Aufgaben mit der Zeit veränderten, blieb ihr Einfluss aber relativ konstant. Die Schwestern planten, rangen mit der Bürokratie eines noch jungen afrikanischen Staates, lehrten, organisierten. Sie übten sich im Dolmetschen und der Diplomatie, vermittelten eher, als zu bekehren. Vor allem aber die Gatekeeper-Rolle brachte ihnen Einfluss: Woher das Geld kam, wie viel und wann zur Verfügung stand, dafür waren die Schwestern verantwortlich.
Überraschenderweise blieben die hiesigen politischen Organisationsformen aber größtenteils intakt. Obwohl das Wohl des Dorfes Mitundu direkt von der Arbeit der Schwestern abhängig war, hatte sich eine Dorfgemeinschaft gebildet, wie sie klassisch für den tansanischen Busch ist: „Die Bewohner des Dorfes wählten aus ihrer Mitte einen Vorsteher, der war ein Muslim. Wir haben eng mit ihm zusammengearbeitet, es war eine produktive Partnerschaft. Sogar die Bibel hat er manchmal gelesen.“ Der muslimische Dorfvorsteher hatte die Funktion, die Bedürfnisse der unterschiedlichen Familien anzuhören und vertrat sie nach außen.
Als dann das Dispensary gebaut war und die Grundversorgung stand, wurde die Expansion nicht mehr von den Schwestern, sondern von den Bedürfnissen der lokalen Bevölkerung getragen. „Wir hatten zwar klare Vorstellungen, was in Mitundu als Nächstes benötigt wurde, vielleicht wussten wir es auch besser als die Einheimischen. Die Entscheidung, was als nächstes gebaut werden sollte, lag aber immer bei der Dorfgemeinschaft und nicht bei uns.“, versichert Celine. „Und ja, eine Kirche war auf der Liste der Prioritäten der Leute nicht so hoch angesiedelt, wie wir es gerne gehabt hätten.

Je mehr die kritische Infrastruktur wuchs, desto mehr löste sich die Rolle der Schwestern als Epizentrum des Fortschritts auf. Die Zahl der Schultern, auf welcher der Fortschritt getragen wurde, wuchs unaufhaltsam, das Gewicht verteilte sich. So ergab es sich, dass sich das Leben auch für die Schwestern einigermaßen eingependelt hatte. „Nach Jahren des Aufbaus so etwas wie Normalität – ein Hauch des geordneten Leben, das wir von zuhause kannten.“
In der Zwischenzeit wuchs auch die Missionsstation und entwickelte sich zu einem vollständigen Kloster heran. Nach und nach entstanden eine Klosterkirche, ein Refektorium (Speisesaal), ein Dormitorium (Schlafräume) und Kapitelsaal (Versammlungsraum). Der Grund für den Ausbau lag aber nicht allein beim Bedürfnis der Schwestern nach einem „vollständigen“ Kloster. Mit der Zahl der PatientInnen und mit dem Einwohnerzuwachs Mitundus wuchs auch das Interesse junger Frauen an der Lebensart der Schwestern. 1985, vier Jahre nach ihrer Ankunft in Tansania, bekamen sie die erste Anfrage zur Aufnahme als Novizin. Es sollte der Startschuss sein für eine ungeplante Entwicklung, die die Strukturen des Ordens nachhaltig verändern sollten.
Zu Beginn lehnten sie die Anfragen kategorisch ab. Der Orden hatte Celine und ihre Schwestern nicht entsandt, um in Tansania eine Tochtergemeinschaft zu eröffnen. Den Menschen sollte geholfen werden, die Hilfe sollte als Katalysator des Wortes Gottes dienen. „Als unser Orden sich für die Mission entschieden hatte, waren Novizinnen nie Teil des Plans.“, erinnert sich Celine. „Die Frauen Mitundus aber blieben hartnäckig, sie stürmten unser Kloster regelrecht mit Anfragen.“
Den Frauen versprach der Beitritt zum Orden so etwas wie Sicherheit, Unabhängigkeit, Selbstbestimmung. All das sind Dinge, die für Frauen im afrikanischen Busch noch heute eher die Ausnahme als die Regel sind. Lieber ein Leben in Entzug und in Keuschheit als mittelloses Objekt juvenilen Übermutes zu sein. Obwohl das Gelübde verlangt, sich einem Leben in Armut zu hinzugeben – im tansanischen Busch bedeutet es eher die Flucht aus der Armut. Es ist eine Art Lebensversicherung, ein Garant gewisser Lebensstandards, die in weiten Teilen der Erde eine Selbstverständlichkeit sind.
„Anders als das Generalat in Innsbruck haben wir das mit eigenen Augen gesehen. Es war die einzig richtige Entscheidung.“, erklärt Celine. Auf Nachdruck der Missionsschwestern lenkte das Mutterkloster irgendwann ein, die ersten Buschfrauen wurden zu Novizinnen ausgebildet. Sie lernten nicht nur Beten, sondern auch Kochen, Schreiben, Nähen, Gartenarbeit. Als Novizinnen erhielten sie die Habit der barmherzigen Schwestern, wurden zur Ausbildung nach Europa entsandt, wurden zu Hebammen, Krankenpflegerinnen und Apothekerinnen ausgebildet.
„Tut den Menschen Gutes und sie werden nach eurem Glauben fragen“
Dieses Credo der Missionsschwestern wurde offensichtlich in Erfolg umgemünzt. Bis heute ist es für Celine nicht möglich mit Klarheit sagen, inwieweit sie die Menschen aus der Provinz Mitundu für ihren Glauben gewinnen konnte. Für den Orden selbst ist der Erfolg aber nicht von der Hand zu weisen. Die Zahlen zeigen das eindrücklich. Es sind Zahlen des Erfolges, die gleichzeitig auch die Krise des Ordenswesens in Europa widerspiegeln: Der Kongregation der Barmherzigen Schwestern in Innsbruck sind 4 Schwesterngemeinschaften mit insgesamt 256 Schwestern zugehörig. Die Gemeinschaft in Tansania hingegen zählt aktuell 139 Schwestern, das ist mehr als die Gemeinschaften Innsbruck, Meran und Treviso zusammen. Sie erhalten in Afrika weit mehr Anfragen, als sie Novizinnen aufnehmen können, erklärt Celine. Darüber sei sie stolz, aber natürlich schwingt dabei auch Wehmut mit. „Ihre“ Provinz Mitundu-Tansania wurde 2013 zu einer gleichstehenden Gemeinschaft mit eigener Äbtissin und eigenem Provinzhaus erhoben, das sei ein großer Schritt für sie und für alle Barmherzigen Schwestern auch in Frankreich und Deutschland.
Phönix aus der Asche
Obwohl enge Verbindungen mit Tirol aufrecht erhalten bleiben, obliegen die Klöstern und Verwaltung der Provinz den tansanischen Schwestern. Aktuell wird sogar debattiert, ob die Provinz Tansania das neue Generalat der Barmherzigen Schwestern werden soll. Auf lange Sicht sei dieser Schritt unvermeidbar, so die Südtirolerin. Hierzulande sinkt die Zahl der Schwestern unaufhaltsam: Der Nachwuchs fehlt und die Reihen der älteren Generationen werden immer dünner. Währenddessen wächst und gedeiht der Orden in Tansania. Celine gesteht sich ein: „Derzeit schaut es so aus, als würde das die einzige Möglichkeit zum Selbsterhalt unseres Ordens sei. Eine Wiedergeburt sozusagen“.
Celine sieht darin also weniger ein Problem als eine Chance. Als eine der drei Gründermütter würde sie diese Entwicklung sogar begrüßen. Sie ist sich aber bewusst, dass die Gemeinschaft in Tansania dafür noch selbstständiger werden muss. Vor allem in der Beschaffung von Arbeitspersonal und Finanzierung müsse man dann auf eigenen Beinen stehen, erklärt sie. Die Aussichten dafür sind jedenfalls gut. Die Tansania ist heute längst nicht mehr nur auf die Provinz Mitundu und der dortigen Missionsstation beschränkt. In den letzten Jahrzehnten schossen überall in Tansania Klöster wie Pilze aus dem Boden.
Im Umkreis der Klöster wurde immer mehr kritische Infrastruktur errichtet. Ambulanzen zur Behandlung verschiedenster Krankheiten wie Malaria, Blutarmut, Typhus, Wurmkrankheiten, AIDS und Tollwut sollten den Menschen auf dem Land ein längeres und besseres Leben ermöglich. Das Portfolio der barmherzigen Schwestern ist heute aber nicht mehr nur auf ärztliche Hilfe beschränkt. Die verschiedenen Missionsstationen umfassen je nach Bedarf auch Geburtskliniken, Kindergärten, Volks- sowie Sekundarschulen, Jungen- und Mädchenheime, Autowerkstätten, Mühlen für Mais und Getreide. Die Schwestern arbeiten in der Mutter-Kind-Beratung, als Lehrerinnen, geben Nähkurse, leisten Gefängnisseelsorge. Die Entwicklungshilfe des Ordens ist heute vielmehr als das Verschieben von Geld von einem Konto zum anderen.
Bildung für alle als Antrieb des Fortschritts
Ein besonders vitaler Bestandteil ihres Entwicklungsprojektes ist seit jeher Bildung. Gerade die Schulen waren ein Motor für das Wachstum Mitundus. Die meisten Familien hatten mehrere Kinder, junge Paare mit vier oder mehr Kindern ist keine Seltenheit. Bis vor der Ankunft der barmherzigen Schwestern hatten sie keinen realistischen Zugang zu Bildung.
Sie stellt in Tansania wie im Rest der Welt den Schlüssel zum Fortschritt dar. Deshalb fließen heute ein Großteil der Mittel des Barmherzigen Schwestern in den Bildungssektor. So die Einrichtungen des Ordens mittlerweile über 700 Schülern eine Chance auf Bildung. In den Kindergärten und Volks- und Sekundärschulen werden Kinder aller Religionen unterrichtet, Jungen wie Mädchen, Behinderte und Aids-Waisen. Der Zugang steht allen offen – das heißt allen, die die finanziellen Mittel haben. Da die staatlichen Schulen meist sehr mangelhaft sind hinsichtlich Ausstattung und Personal, entschieden sich die Schwestern für die Privatisierung ihrer Schuleinrichtungen.

Missionierung im Kindesalter
Der Status als Private Schulen und die noch immer recht laschen Vorgaben des Staates bedingen, dass der Orden weitreichende Freiheiten in der Gestaltung des Unterrichts genießt. Es überrascht also nicht, dass es jeder Schule Gebetsräume gibt. Auch nicht, dass das Beten ist in den Kindergärten ebenso fixer Bestandteil der Tagesordnung ist wie gemeinsame Spiele. Das Lehrpersonal besteht heute noch immer größtenteils aus Schwestern, Pfarrern oder christlichen Intellektuellen. Inwieweit ihr Glaube in den Unterricht einfließt, ist schwer ganzheitlich feststellbar. Fest steht aber, dass es dahingehend weder eine kritische Reflexion noch eine externe Qualitätskontrolle gibt. Zu guter Letzt wird, anders als in den meisten Schulen in Zentraleuropa, dem Religionsunterricht eine zentrale Rolle eingeräumt. Die Inhalte orientieren sich dabei weniger an der theologischen Philosophie als an christlich-konservativem Religionsunterricht.
Dank der Arbeit der Schwestern lernen die Kinder das Einmaleins, Silbentrennung und Briefenglisch. Ihnen wird aber auch täglich der christliche Glauben eingetrichtert. Für die Schwestern mag die Indoktrinierung nicht im Vordergrund stehen, die christliche Prägung der Schulen ist aber nicht von der Hand zu weisen. Die Bildung ist sicherlich einer der Gründe, dass sich die Verteilung der Religionsangehörigen heute langsam, aber stetig zugunsten des Christentums verschiebt.
Verschmelzung zweier Welten
Der Orden der Barmherzigen Schwestern hat sich in Afrika neu gebildet, er besteht auf seine eigene Art fort. Man kann sicherlich von einer Metamorphose sprechen, wenn man an seine europäischen Ursprünge denkt. Heute ist die tansanische Ordensgemeinschaft ein Schmelztiegel der Kulturen. Sie ist das Produkt der Verbindung von den Bräuchen des afrikanischen Buschs und der christlich katholischen Traditionen des Ordens. Tansanischen Schwestern wie Sr. Verediana Herman oder Sr. Gabriela Mwiru haben ihre eigene Art, ihre Hingabe zu Gott zu leben. Die Gemälde, die die Gänge der Klöster säumen, zeigen einen schwarzen Jesus, die Gottesdienste werden getragen von Gesang und Tanz als weniger von Predigt und Litanei.
Und trotzdem – sie leben nach den kulturellen und religiösen Vorstellungen eines sogar überholten Schwesternordens aus Österreich. Viele der seit vierzig Jahren tradierten Werte tragen eine weiße, europäische, privilegierte Färbung.

Wenn man die Arbeit der Barmherzigen Schwestern nach über vierzig Jahren jedenfalls bilanziert, dann kann man vorsichtig von einer Erfolgsgeschichte sprechen. Die Finanzierung kommt zwar noch immer zu Teilen aus dem Ausland, die Entwicklungshilfe wird aber größtenteils von den Einheimischen selbst getragen. Die Schwestern in Mitundu sind Einheimische, die ihren Landsleuten helfen.
Das bedeutet, dass die Mission der eine der sehr wenigen Realisierungen des geflügelten, inflationär verwendeten Begriffs der „Hilfe zu Selbsthilfe“. Für sie ist die Liebe zum Nächsten das höchste Gut. Außerdem arbeiten die Barmherzigen Schwestern effizienter als die meisten NGOs. Die Hilfe für die Menschen im tansanischen Busch ist für sie weder ein Praktikum noch ein Projekt. Es ist ihr Lebensinhalt. Der Orden funktioniert anders als die NGOs, die – respektierlich – sicher auch einen wesentlichen Beitrag geleistet haben. Die Schwestern verbringen ihr Leben hier, stammen von hier, haben dieselben Wurzeln wie jene, die ihre Hilfe benötigen.
Kein Schwarz oder Weiß
Entwicklungshilfe trägt weltweit dazu bei, Armut zu senken und erhöht Wohlstand und Lebensstandards, auch wenn die Effektivität oder Sinnhaftigkeit seit jeher umstritten ist. Auch heute noch wird Entwicklungszusammenarbeit häufig von Organisationen und Institutionen der christlichen Kirchen getragen, besonders in Afrika. Der Entwicklungsauftrag ist dann meistens mit einem Missionierungsauftrag verbunden, am eindeutigsten ist dies bei Missionsorden der Fall. Sie leisten zwar Gesundheits-, Sozial- und Bildungsarbeit, streben aber gleichzeitig die Evangelisierung der Menschen an. Die Quintessenz der Thematik ist, inwiefern diese beiden Aspekte verbunden werden.
Es gibt hierbei eine Vielzahl an Spielarten: Die Missionierung kann passiv und entkoppelt von der Entwicklungshilfe geschehen. Entwicklungshilfe kann aber auch mit dem Zwang des Konvertierens verbunden werden. Fakt ist, dass heute oft unersichtlich ist, inwieweit die Entwicklungshilfe auf dem Gedanken der Nächstenliebe basiert oder ob sie nur ein Mittel zum Zweck der Evangelisierung ist. Diese Tatsache ist zentral bei der Beantwortung der Frage, ob – und wenn ja – wie Entwicklungshilfe mit Missionierung verbunden werden darf
Das Beispiel der Barmherzigen Schwestern zeigt, dass es bei der Beantwortung der Frage nach der Legitimität christlicher Entwicklung eines Sache fehlt: die Eindeutigkeit. Genau daraus ergibt sich aber auch die Relevanz dieser Thematik. Sie ergibt sich aus der Unmöglichkeit einer endgültigen, unipolaren Antwort.
Die Schwestern genießen hohen Einfluss in der Provinz, ihre gesellschaftliche Stellung ist beneidenswert. Fakt ist aber, dass sie unzähligen Menschen geholfen haben und helfen. Ihr Erbe sind all die Menschen, denen sie ein besseres Leben ermöglicht haben. Ihre Zahl steigt exponentiell, mit jeder Schule, die gebaut wird und jeder Geburtenstation, die die Schwestern leiten. Und ja, auch die Zahl der Christen in der Region stieg in der Provinz seit der Ankunft der Barmherzigen Schwestern. Solange die Missionierung ein Nebenprodukt der Entwicklungshilfe des Ordens bleibt, ist sie begrüßenswert. Man kann es auch anders betrachten: Vielleicht wäre die Entwicklungshilfe auch gar nicht so erfolgreich gewesen, wäre sie nicht vom Missionierungsgedanken der Schwestern getragen worden.
von Stefan Schmider