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Priester gegen Spende

Ein Beitrag von Philipp Wohltmann

Niemand in Österreich will Priester werden. Deshalb rekrutieren die Diözesen ihr Personal aus dem Ausland. Allein 158 Priester stammen aus afrikanischen Ländern. Doch auch die Heimatdiözesen profitieren. Weltpriester als Tauschware?

Hartkirchen in Oberösterreich, samstagsabends um 18.55 Uhr. In der Kirche haben sich rund 40 Menschen eingefunden. Zusammen sind sie deutlich älter als Jesus Christus selbst. Eingerahmt von zwei Ministrantinnen nimmt der Priester ruhig seinen Platz hinter dem Altar ein. Er begrüßt die Gemeinde. „Guten Abend“, schallt es im Chor zu ihm zurück.

Hartkirchen in Oberösterreich, samstagsabends um 18.55 Uhr. In der Kirche haben sich rund 40 Menschen eingefunden. Junge Menschen sind wenige da, gemeinsam sind die Besucher:innen älter als Jesus Christus selbst. Eingerahmt von zwei Ministrantinnen nimmt der Priester ruhig seinen Platz hinter dem Altar ein. Er begrüßt die Gemeinde. „Guten Abend“ schallt es im Chor zurück.

 

Das Kruzifix hängt in Österreich zwar noch vielerorts. Doch die katholische Kirche verliert Mitglieder: 14% allein seit 2008. Sie verliert aber auch Priester. Im Jahr 2005 kamen auf eine österreichische Pfarre noch 0,79 Priester, heute nur noch 0,64. Frauen dürfen nicht und Männer nur, wenn sie ihr Leben Gott widmen, ohne Partnerschaft, ohne Sex: kaum ein Mensch will Priester werden.

Deshalb übernehmen immer häufiger ausländische Priester. 2020 waren 437 ausländische Priester in Österreich tätig. Vor wenigen Jahrzehnten kamen sie noch aus Polen und anderen osteuropäischen Ländern. Heute bemüht sich die katholische Kirche um Priester aus Indien und Afrika. In den neun österreichischen Diözesen sind derzeit nach eigener Aussage 158 afrikanische Priester tätig.

Was treibt Menschen wie Fada Onyii an, in Österreich zu praktizieren? Und gewinnen durch seine Arbeit alle Beteiligten gleichsam?

Fada Onyiis Weg nach Hartkirchen

Nach der Unabhängigkeit von Großbritannien kämpften die christlichen Igbo im Südosten Nigerias für ihre Unabhängigkeit vom muslimischen Norden des Landes. Sie verloren den Krieg. Fada Onyii’s Geburt fiel in diese Zeit. Er wurde 1968 in der Biafra-Provinz als eines von neun Kindern geboren.

Der Krieg hatte Fada Onyii’s Eltern ihren Wohlstand gekostet. Dennoch schafften sie es, alle Kinder auf die Schule und sogar die Universität zu schicken. Heute leben nur zwei von ihnen in Nigeria. Die anderen sind in der Welt verstreut.

Fada Onyii erhielt in der noch jungen römisch-katholischen Kirche seine Erstkommunion und begann, zu ministrieren. Mit zwölf Jahren wechselte er auf das Knabenpriesterseminar. „Einer der Priester war ein guter Freund und ich wollte werden wie er“, begründet er heute sein frühes Interesse am Priestertum. Das Knabenpriesterseminar war wie eine weiterführende Schule. Fada Onyii machte dort seine Matura, durfte anschließend Philosophie und Theologie studieren. Zwischendrin absolvierte er Praktika in Gemeinden und erhielt 1995 seine Priesterweihe. Nach kurzer Zeit in der eigenen Diözese schickte sein Bischof ihn zur Arbeit zur Diözese Lagos und 2004 zum Studium nach Österreich.

 

Zwei Wege führen anch Österreich – manchmal dauerhaft

Zwei verschiedene Wege führen Priester wie Fada Onyii aus afrikanischen Diözesen nach Österreich. Entweder ein Priester bewirbt sich selbst auf ein Stipendium in Europa oder er wird von seinem Bischof geschickt. In einer Studie zur „Situation ausländischer Priester in Deutschland“ aus dem Jahr 2011 geben 70% der befragten ausländischen Pfarrer an, ihre Bischöfe oder Ordensobere hätten sie geschickt. Diese werden von europäischen Diözesen um die Entsendung der Priester gebeten. So lief es zumindest bei Fada Onyii, der erzählt: „Es ist kein Geheimnis: Es gibt einen Priestermangel in Europa. Die Diözesen versuchen Aushilfspriester zu bekommen.“ Es gebe eine besondere Beziehung zwischen der Diözese Linz und Fada Onyiis Heimatdiözese. So kam Fada Onyii 2004 nach Linz. Er studierte, promovierte sogar. Gleichzeitig half er als Kaplan aus. Heute stammen sieben Priester und zwei Seminaristen, die in der Diözese Linz tätig sind, aus der Heimatdiözese von Fada Onyii.

 

Was bedeutet das für die Heimatdiözesen?

Fada Onyii’s Heimatdiözese Awka war bis zur Teilung des Gebiets im Jahr 2020 die größte Diözese in Nigeria. 357 Priester gehörten ihr 2020 an, doch längst nicht alle sind auch in Awka tätig. Laut der Website der Diözese sind 67 von ihnen als Missionare in anderen Ländern tätig, insbesondere in den USA und Europa. Weitere 75 Seminaristen sind auf dem Weg zu ihrer Priesterweihe: Viel mehr als die Diözese später selbst anstellen kann. Die Diözese stand für eine Stellungnahme nicht zur Verfügung.

In anderen Branchen nennt sich die Abwanderung von gut ausgebildeten Fachkräften in reichere Länder „Brain-Drain“. Fada Onyii aber schüttelt den Kopf. Zwar handele es sich bei Priestern um gut ausgebildete und hochqualifizierte Menschen, doch in den Entsende-Diözesen gebe es keinen Mangel. Anders als in Österreich möchten viele junge Männer Priester werden. Für Fada Onyii hat das auch mit der Perspektive zu tun, sein Leben ohne Armut bestreiten zu können: „Armut treibt Leute auch ins Priestertum.“

Aufgrund der großen Nachfrage werden die Priesterseminare in Nigeria weiter ausgebaut. Ohne die Spenden europäischer Gemeinden wäre das nicht möglich. Eines der fünf Missio-Zielen ist es, „für die Priester von morgen“ zu sorgen. Missio ist das Päpstliche Missionswerk in Österreich. 2019 wurden laut Jahresbericht 3.232 Seminaristen durch Priesterpatenschaften und Spenden unterstützt. 2020 waren es sogar 1000 mehr. Allein 12% des gespendeten Geldes von Missio Österreich fließt dem Jahresbericht zufolge in Mess-Stipendien. Laut einem Missio-Pressesprecher unterstütze man so den Wunsch vieler junger Männer, Priester zu werden. Und diese würden dringend gebraucht, denn die katholische Kirche in Afrika wachse stark. Ob man mit den Spenden auch die eigenen zukünftigen Priester ausbilde, verneint er.

Und der Austausch generiert weitere Gelder für die Heimatdiözese: Die Priester vertiefen durch ihre Arbeit die Beziehungen den Diözesen, stoßen Spendenprojekte für ihre Heimat an und treten zudem einen Teil ihres Gehalts an ihre Diözesen ab. Fada Onyii tut das gern: „Es ist eine Win-Win-Situation. Wir arbeiten hier, bekommen Geld und geben es nachhause. Das Geld brauche ich persönlich wirklich nicht, deshalb gebe ich es weiter an meine Diözese.“ Auch die Studie zur „Situation ausländischer Pfarrer“ sieht die Situation ähnlich: „Die Personalnot auf der einen Seite und die Finanznot auf der anderen Seite treffen aufeinander und ergänzen sich“. Ist es das, was heute Weltkirche ausmacht? Ein Tausch „Priester-für-Geld“?

Schaubild Priester Spende

 

Was bedeutet dieser Austausch für die Priester?

 

Seit 2009 leitet Fada Onyii nun schon Pfarren in Oberösterreich. Dabei scheint für seine Arbeit das Beste aus beiden Welten zu vereinen. Es klingt nach einem Klischee, doch er bringt Nähe und Lockerheit mit in die Gemeinden. Welcher andere Priester würde auf einer Hochzeit einen Schlager performen?

 

Er wird wieder nachhause gehen, sagt Fada Onyii. Zurück dahin, wo er herkommt, nach Nigeria. Und doch: Auch Oberösterreich gefällt ihm. Er liebt lange Spaziergänge durch den Wald. Rassismus hat er bisher nur einmal erlebt, sagt er. Anderen Kollegen gehe es da anders. Ganz zu schweigen von denen, die nicht als Priester nach Österreich kommen. „Dass ich als Priester gekommen bin und eine Stellung in der Gesellschaft habe, ist ein Unterschied zu jemandem, der über Asyl hergekommen ist. Das weiß ich.“

Ein afrikanischer Priester für die Pfarre

Nicht nur das Leben und Arbeiten der Priester verändert sich, wenn sie eine Pfarre übernehmen. Auch aus Sicht der Gemeinden kann einiges schiefgehen. Das größte Problem bereitet den Gemeinden und Ankömmlingen laut der Studie von Karl Gabriel zur „Situation ausländischer Priester in Deutschland“ die Sprache. Für seelsorgerische Tätigkeiten reicht ein passables Deutsch oft nicht aus. Doch die Sprache ist nicht die einzige Herausforderung. Als weitere Problemfelder in der Zusammenarbeit identifiziert Gabriel „ein traditionelles Priesterbild, großes missionarisches Sendungsbewusstsein, mangelnde Anpassungsfähigkeit oder unzureichende Kenntnisse über die Struktur und Situation der hiesigen Kirche“. Das alles sind Gründe dafür, dass nicht jeder Aushilfspriester in jeder Gemeinde funktioniert. Und Gründe, warum es keine optimale Lösung ist, den österreichischen Priestermangel mit Priestern aus Afrika zu beheben. Eine Frage, die sich auch Fada Onyii immer wieder stellt: „Wenn es keinen Priestermangel gäbe, wäre ich dann hier?“

Und doch: Wenn die vielen Priester aus dem Ausland, die 158 Priester aus Afrika, nicht da wären, müssten die Pfarren wohl geschlossen werden.

 

Hartkirchen in Oberösterreich. Samstagabends um kurz vor acht. Fada Onyii verabschiedet sich am Ende des Gottesdienstes von der Gemeinde. „Auf Wiedersehen“ schallt es im Chor zu ihm zurück. Schnell leert sich die Kirche. Gefeiert wird jetzt nur noch in der Hoftaverne. In der Stube hängt ein Kruzifix. In dem Land, wo kein Mensch Priester werden will und sie deshalb importiert werden müssen.