Samstag, Dezember 27MA-Jour JG 2024

Eine Frage von Minuten: Wenn die Sterne das Leben bestimmen

Die typischen Eigenschaften der Sternzeichen, verpackt in humorvolle Reels auf Instagram. Kategorisierung von Menschen abhängig davon, wie die Sterne zum Zeitpunkt ihrer Geburt standen. Die Astrologie ist wieder voll im Trend – aber ist das nur ein spaßiger Zeitvertreib oder eher der Weg in eine gefährliche Abhängigkeit?


Ein Beitrag von Janika Wanner

Es ist früh am Morgen, an einem Frühlingstag vor knapp 25 Jahren. Als Jennifer geboren wird, steht der Mond gerade im Sternbild Zwillinge, der Stier ist als Aszendent am östlichen Horizont zu sehen. Wäre Jennifer allerdings nur zwanzig Minuten später zur Welt gekommen, hätte der Sternenhimmel schon ganz anders ausgesehen. Und damit auch ihr Geburtshoroskop. Dann wäre Jennifer nicht, wie es dem Aszendenten Stier zugeschrieben wird, eine loyale und beständige Person, sondern neugierig und scharfsinnig- typisch für den Aszendenten Zwillinge. Zumindest wenn man der Astrologie Glauben schenken möchte. Und es scheint es so, als ob die Astrologie derzeit wieder eine wahre Sternstunde erlebt- und zwar in den sozialen Medien.

 

Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an

 

Ein Beitrag geteilt von Zodiac Boyfriend 🧿🔭 (@zodiacboyfriend)


„Wassermänner: Der wahre Teufel in Menschengestalt“

Der Post auf Instagram hat nahezu 98.000 Likes und über 1700 Kommentare wie „als Wassermann kann ich das bestätigen“ oder ein augenzwinkerndes „aber nur, wenn wir provoziert werden“. Die Zeiten, in denen man beim Thema Astrologie vor allem an Horoskope in verstaubten Magazinen und Gerda Rogers gedachtet hat, sind vorbei. Natürlich gibt es die Magazinhoroskope immer noch. Aber seit ein paar Jahren ist vor allem die Onlinewelt zum Territorium der Astrologie- Fans geworden. Auf Instagram und TikTok häufen sich Inhalte zur Astrologie, das Hashtag #astrology hat auf TikTok knapp 50 Milliarden Aufrufe (Stand 22.12.22). Und auch auf Datingapps wie Tinder kann man mittlerweile sein Sternzeichen angeben und so sicherstellen, dass das Sternzeichen eines potenziellen Matches auch mit dem eigenen kompatibel ist. Die Astrologie ist in der Netzkultur angekommen- und vor allem bei der Gen-Z populär. Aber woher kommt die Begeisterung? Und wieviel Ernst steckt hinter der Sterndeutung? Ist das nur als Spaß gemeint oder kann das Sternzeichen sogar bei der Freundschafts- oder Partnerschaftswahl ein Hindernis sein?

Auch Jennifer schickt oft mit einer Freundin Reels auf Instagram zu den Sternzeichen hin und her. Wenn sich die beiden treffen, führen sie lange Gespräche über die Astrologie. So beginnt vor drei Jahren Jennifers Begeisterung für die Sterndeutung. Zwar hat sie schon immer ab und zu ihr Horoskop gelesen, aber das war bisher ihr einziger Berührungspunkt mit dem Thema. Sie ist fasziniert und stellt viele Fragen. Was ist eigentlich ein Aszendent? Und wie beeinflusst er unsere Persönlichkeit?

Mittlerweile ist Jennifer selbst zu einer richtigen Astrologie- Kennerin geworden. Oft fragt sie Leute nach ihrem Geburtszeitpunkt – am besten auf die Minute genau – und nach ihrem Geburtsort. Diese Daten gibt sie dann im Internet in einen Horoskop- Rechner ein, und schon nach ein paar Sekunden spuckt der ihr eine ganze Liste von Persönlichkeitsmerkmalen aus.

„Das sind Kategorien, wo du die Menschen einordnen kannst. Vielleicht gibt mir das ein bisschen Sicherheit und ich fühle mich dadurch besser“, erklärt Jennifer ihre Faszination für das Geburtshoroskop. „Ich kriege oft die Rückmeldung, wenn ich ein Geburtshoroskop für irgendwen ausgelesen hab, dass das wirklich stimmt. Ich finde es einfach faszinierend, dass es so versteckte Dinge gibt, die man zwar berechnen kann, aber nicht auf den ersten Blick sieht.“

Dieses Gefühl der Sicherheit, das Jennifer dadurch erfährt, dass sie Menschen mithilfe deren Geburtshoroskops in Kategorien einordnen kann, bezeichnet der Psychologe Andreas Hergovich als Illusion der Kontrolle. Auch er ist davon überzeugt, dass gerade dieses Sicherheitsgefühl die Astrologie für viele Leute attraktiv macht. Er erklärt außerdem, wie es möglich sein kann, dass viele Menschen tatsächlich den Eindruck haben, ihr Geburtshoroskop würde ihre Persönlichkeit treffend beschreiben: „Erstens haben wir immer eine Bestätigungstendenz in uns, wir suchen immer nach Bekräftigung der Information. Das, was zum Beispiel beim Horoskop nicht passt, ignorieren wir eher. Und zweitens enthalten die meisten Horoskope auch allgemein gültige Aussagen, man spricht von sogenannten Barnum Aussagen“

So, wie einst der Zirkusdirektor P.T. Barnum für jeden Geschmack etwas in seinem Programm hatte, so ist auch bei Horoskopen etwas Passendes für alle dabei. Das Geheimrezept- allgemeingültige und vage Formulierungen. Klar, dass sich bei Aussagen wie „Sie neigen dazu, ab und zu an der Richtigkeit ihrer Entscheidungen zu Zweifeln“ ein breites Publikum angesprochen fühlt. Typischerweise spielen Barnum- Aussagen auch mit Wünschen und Ängsten, die bei den meisten Menschen vorhanden sind. Die Aussagen treffen dann zwar oft auf den oder die Leser*In zu – aber eben auch auf Millionen von anderen Menschen.

Laut Hergovich überzeugt die Astrologie außerdem dadurch, dass sie auf den ersten Blick wissenschaftlich wirkt. Es wird etwas berechnet, es gibt komplizierte Begriffe, man muss beispielsweise wissen, was ein Aszendent überhaupt ist. Das wirkt erstmal seriös – aber daraus abzuleiten, dass die Astrologie eine Wissenschaft sei, wäre ein Trugschluss, meint der Psychologe.

Als die Astrologie in ihren Vorformen im 3. Jahrtausend v. Chr. im antiken Mesopotamien entstand, war sie das noch in einer gewissen Art und Weise. Die Himmelsbeobachtung war ein Versuch der Menschen damals, die Welt zu verstehen. Im Laufe des 19. Jahrhunderts machten dann allerdings die modernen Naturwissenschaften große Fortschritte. Die astrologische Sterndeutung war nicht länger mit dem neuen Verständnis von Wissenschaft vereinbar, da sie auf nicht- nachweisbaren Kräften basierte. Es kam zu einer Trennung der Astrologie und der Astronomie als deutungsfreie, forschende Wissenschaft.

Trotzdem lassen sich auch heute noch Menschen von der Sterndeutung durchs Leben leiten. Der Astronom Florian Freistetter hat eine weitere Vermutung, woran das liegen könnte: „Mittlerweile wissen wir, dass die ganzen Zusammenhänge nicht stimmen. Aber der Wunsch, dass es irgendeinen Mechanismus gibt, der verantwortlich ist, der ist heute immer noch da. Denn die Astrologie befriedigt immer noch das Bedürfnis nach einem tieferen Wissen. Und man kann mit der Astrologie auch sehr gut Verantwortung abgeben.“ Klar, alles auf die Sterne zu schieben ist angenehm. Wenn man provoziert wird und ganz „teuflisch“ darauf reagiert, dann ist das keine übertriebene Antwort, sondern halt einfach typisch Wassermann. Die Sterne schreiben das so vor.

Manchmal diktieren sie sogar das ganze Leben. Reels über teuflische Wassermänner, das ist noch Astrologie- light. Aber wenn die Sterne Einfluss auf politische Entscheidungen haben, dann ist das schon eine andere Größenordnung. Nancy Reagan, die Frau des ehemaligen US- Präsidenten Ronald Reagan, achtete während der Amtszeit ihres Mannes darauf, dass dieser wichtige Entscheidungen nur zu astrologisch günstigen Zeitpunkten traf. Unter anderem erfolgten damals die Abrüstungsgespräche mit Michail Gorbatschow im Kalten Krieg auf astrologischen Rat. Das Schicksal eines Landes, bestimmt durch die Gunst der Sterne – Florian Freistetter sieht das sehr kritisch: „Das Problem ist, dass ich mich nicht unbedingt entscheiden kann, die Astrologie nicht haben zu wollen. Wenn die Menschen, die Einfluss auf mein Leben haben – mein Chef, meine Bank die Politiker und Politikerinnen – wenn die daran glauben, dann hänge ich mit drin, ob ich will oder nicht“. Aber auch für die astrologiegläubigen Personen selbst kann ein blindes Vertrauen in die Kraft der Sterne zu einem Problem werden. Wenn jede Entscheidung von der Gunst der Sterne bestimmt wird, dann bedeutet das eine Abhängigkeit, einen Kontrollverlust über das eigene Leben. Auch die Website von „Rat auf Draht“ warnt ausdrücklich davor, Entscheidungen von Horoskopen abhängig zu machen oder sich bei der Partnerschaftswahl allein auf das Sternzeichen zu verlassen. Aber ist das überhaupt eine reale Gefahr?

„Ich muss ehrlich zugeben, manchmal haben wir Leute ein bisschen verurteilt wegen ihres Geburtshoroskops, so „ah, Venus im Schütze – lieber nichts mit dem anfangen. Eine Freundin hat mir mal von irgendeinem Typ abgeraten, weil er Mond im Widder war, und das fällt in mein zwölftes Haus. Das heißt, durch ihn erfahre ich Probleme, wo ich vorher gar nicht gewusst habe, dass ich die hab“, berichtet Jennifer.

Ein bisschen Ernst steckt bei Jennifer und ihren Astrologie- begeisterten Freund*Innen also schon hinter solchen Aussagen. Dennoch – mit ihrem jetzigen Freund ist sie trotz einer vermeintlich ungünstigen Konstellation zusammen. Das Liebesglück nur von einer kosmischen Momentaufnahme abhängig zu machen wäre ihr dann doch zu extrem. Auch der Psychologe Andreas Hergovich betont, dass Hardcore- Gläubige, die ihr Schicksal allein von den Sternen abhängig machen, eher eine Ausnahme unter den Astrologie- Fans sind. Natürlich gibt es Extremfälle, aber für die meisten ist die Astrologie einfach ein harmloser Zeitvertreib. Für Jennifer ist das Geburtshoroskop vor allem ein Weg, um sich selbst und andere besser kennenzulernen. Und wenn es nach ihr geht, müssen die Sterne auch gar nicht immer große Geheimnisse offenbaren – manchmal reicht es, wenn sie einfach nur helfen, das Eis zu brechen: „Es macht Spaß das auszurechnen, ein bisschen hinter die Fassade von einem Menschen zu blicken und Dinge über ihn zu lesen, du bist dann gleich auf so einem tiefgründigen Level mit der Person. Ich finde es einfach ein cooles Gesprächsthema. Und jedes Geburtshoroskop, das du ausliest, ist etwas Neues. Das wird einfach nie fad.“